Gastbeitrag von Daniel Wagner zum Jahrgang 2010

Es ist ja schon viel geschrieben worden zum ungewöhnlichen Jahrgang 2010. Eine Menge Nachrichten aus der Gerüchteküche brodelten durch das Netz. Mittlerweile gibt es allerdings gute Informationen aus erster Hand, also Einschätzungen  der Winzer selber und die sollten es eigentlich wissen. Dabei zeigt sich, wie heterogen die Qualität des Jahrgangs je nach Gebiet sein wird und wie stark die Ausfälle. Gleichzeitig aber wird ebenso klar, dass das Engagement des einzelnen Winzers und seines Teams entscheidend sein wird für die Qualität der Weine die wir dann im nächsten Jahr erleben werden.

Ich bin froh, dass ich zu diesem Thema die Einschätzung Daniel Wagners vom Weingut Wagner-Stempel veröffentlichen kann, der sehr ausführlich den Vegetationsverlauf und die erwarteten Mengen und Qualitäten für seine Siefersheimer Lagen beschreibt.

Das Sonnenfenster im Oktober

2010 war ein Jahr der Extreme. Der zurückliegende Vegetationsverlauf hat alles geboten, was an Wetterextremen in den gemäßigten Breiten anzutreffen ist. Eisige Kälte, Sturm, Hagel, Hitze und sintflutartige Regenfälle…es war ein Ringen in den letzten Monaten – zuweilen auch nur ein banges Hoffen und zuletzt ein Geschenk mit glücklichem Ausgang.
Das Jahr begann überaus kalt mit einem der härtesten Winter der letzten Dekaden. Selbst in der Rheinebene gab es ergiebige Schneefälle, und die Minusgrade reichten bis weit in den März hinein. An ein frühes Erwachen der Natur war nicht zu denken. Anfang April schaltete das Wetter direkt auf Frühsommer um, und bei sommerlichen 25°C überschlug sich die Vegetation förmlich im Wachstum. Selbst unsere 70 Jahre alte Kastanie in der Hofmitte war binnen 2 Wochen grün.

Die Entwicklung in den Weinbergen verlief ebenfalls derartig rasant, dass viele handwerkliche Arbeiten des Frühlings wie das Ausbrechen und anschließende Heften teilweise parallel ablaufen mussten. Alle Hände waren gefragt. Der Mai brachte eher kühles und wechselhaftes Wetter mit sich, die ersten Gewitter mit Hagelschauern und ergiebigen Regenfällen zogen über das Land und an eine frühe Blüte der Reben war nicht zu denken.

Erst Mitte Juni begann die Hauptblüte in der Lage Höllberg und ungefähr 10 Tage später in der Heerkretz. Beim Riesling zeigte sich eine starke Gescheinsausbildung mit vielfach 3 Trauben und mehr pro Trieb bei gleichzeitig starker Verrieselung der einzelnen Gescheine. Auch die Burgunder- und Silvaneranlagen entwickelten sich in dieser Weise und machten Hoffnung, die später nötigen Ausdünnarbeiten moderat ausfallen zu lassen.

Das hochsommerliche Wetter der Monate Juni und Juli brachte nochmals einen weiteren Wachstumsschub mit sich. Die Reben profitierten von der Feuchtigkeit im Mai. Das Traubenwachstum hingegen fiel sehr moderat aus, und es bildeten sich vielfach nur kleine Beeren in den Gescheinen. Wir waren voller Hoffnung, und Ende Juli zeigten unsere Rebanlagen ein z.T. idealtypisches Bild. Schlanke, lichte und hohe Laubwände bei gleichzeitig vielen lockerbeerigen Gescheinen mit kleinen Früchten.

Der August bereitete diesem Bild ein jähes Ende. Die ergiebigsten Regenfälle in einem August seit Aufzeichnung gingen über Rheinhessen hinweg. Mit knapp 130 l/m2 kam Siefersheim noch glimpflich davon. Die eher kühlen Temperaturen hielten auch die Pilzgefahr vorerst im Zaun und dennoch waren die Rebanlagen angezählt. Die vormahls lockerbeerigen Trauben waren wie aufgeblasen. Zum Glück hatten wir uns während des Sommers entschlossen, keine Gescheine zu entfernen, um die Ertragsregulierung zu erzielen, sondern wir hatten in beinahe sämtlichen Anlagen die Trauben halbiert. Zudem zeigte sich, dass aufgrund unserer ökologischen Bewirtschaftung ein guter Teil des Wassers von unserer Begrünung aufgenommen worden war, und auch Erosionserscheinungen eher selten waren. Der gute Wasserabzug des porphyrischen Untergrunds besonders in den Lagen Höllberg und Heerkretz kam als ergänzender Vorteil hinzu. Die dortigen Rieslinganlagen verkrafteten die Wasserzufuhr erstaunlich gut.

Eine von Pilzkrankheiten völlig zerstörte Rebanlage in der Heerkretz Anfang Oktober. Wer im Jahr 2010 nicht alle Kraft in die Weinbergsarbeit investiert hatte, konnte praktisch nichts ernten.

Eine Beruhigung und Besserung der Situation ergab sich auch im September nicht. Im Gegenteil. Die wärmeren ersten Wochen des Septembers kulminierten wiederum in ergiebigen Regenfällen eines Wärmegewitters am 12. September. Auch hier kam Siefersheim mit knapp 15 l/m2 vergleichsweise glimpflich davon – im südlichen Rheinhessen fielen an die 40 l/m2 – und dennoch war es jetzt geboten, alle Anlagen so gesund zu halten wie irgend möglich. Alle Rotweinanlagen wurden in der Traubenzone komplett freigestellt und für viele Weißweinanlagen galt dasselbe.

Bis zu diesem Zeitpunkt zeigte sich in der Traubenentwicklung ein eher groteskes Bild. Der Reifeprozess der Beeren hatte sich in den Wochen seit August merklich verlangsamt. Die Zuckerwerte in den Beeren waren als Ergebnis der Ertragsreduzierung schon bemerkenswert hoch, die Schalen und Kerne jedoch noch grün, bei Rotweinen fehlte es an Farbpigmenten und Gerbstoffreife in den Schalen, und insgesamt lagen die Säurewerte aufgrund der wenigen warmen Nächte in den vorangegangenen Wochen überdurchschnittlich hoch.

Eine Lösung konnte nur eine stabile, sonnige Periode erbringen und die ergab sich vom 4. bis zum 17. Oktober. Ein wunderschöner, verspäteter Altweibersommer verheilte viele Wunden. Die langen, feuchten Vormittagsstunden mit intensiver Sonne und hohen Temperaturen am Nachmittag ließ besonders die Burgunderanlagen an einen Punkt der Reife gelangen, der Wochen zuvor schwer vorstellbar war. Auch unsere Rieslinganlagen am Höllberg zeigten gegen Ende des „Sonnenfensters“ jene Reife, die wir auch in den Vorjahren beobachten konnten. Selbst die Säurewerte fielen in verschiedenen Anlagen vergleichsweise moderat aus und wir wurden insgesamt optimistischer – insbesondere im Hinblick auf die Aufgaben in der Heerkretz. Besonders jetzt zeigten sich die Vorteile unserer ökologischen Bewirtschaftung mit dem damit verbundenen Reifevorsprung. Vergleichbare, konventionell bewirtschaftete Weinberge mit starkem Botrytizideinsatz waren zu diesem Zeitpunkt noch völlig unreif.

Der letzte Schlag der Wetterkapriolen kam wenige Tage später am 22.Oktober. Dichter Nebel und tiefe Minusgrade bis in Höhenlagen von 300m hatte das Laub der Weinberge in Rheinhessen förmlich einfrieren lassen. Innerhalb von 24 Stunden lagen alle Blätter am Boden – der vegetative Prozess im engeren Sinne war beendet. Unsere Weinberge in der Heerkretz wurden in den nachfolgenden Tagen gelesen und am 3. November war die Lese mit unseren letzten Rieslingparzellen am Siefersheimer Ajaxturm vorbei.

Perfekt ausgereifte Trauben in der Heerkretz am Siefersheimer Ajaxturm. Das Laub war bereits am Boden. Anfang November zeigten die Beeren ein idealtypisches Bild mit Verfärbungen von grün zu gelb bis violett.

Das Gesamtbild des Jahrgangs 2010 ist auch jetzt nur schwer auf einen Punkt zu bringen. Die Erinnerung an 2002 wird wach, und dennoch steht dieses Jahr ganz für sich. Die Erträge insgesamt bewegen sich unterhalb unseres langjährigen Mittels. Ein mengenmäßig kleiner Jahrgang. Die Zuckerwerte sind durchweg gut bis sehr gut gewesen. Die Säurewerte reichten von milden 7g/l bei verschiedenen Silvaneranlagen bis hin zu spitzen 13 g/l bei einzelnen Basis-Rieslingparzellen. Die Schalen, Kerne und das Fruchtfleisch zeigten alle Grade der Entwicklung von kerngesund grün bis hochreif violett – eine Zusammensetzung, die wir eigentlich jedes Jahr anstreben. Besonders die aromatische Ausreifung hat von den Bedingungen im Oktober mit kalten Nächten, Nebel und überaus warmen Mittagssonnenstunden profitiert. Der Übergang der Schalenfärbung, der in ökologisch bewirtschafteten Weinbergen von grün zu gelb und rosa reichte, war der Schlüssel der langen und langsamen Ausreifung – in der Heerkretz bis in den November hinein.

Die Kombination dieser Axiome lässt Weine mit viel Kraft und Volumen, ausgeprägter Mineralität bei gleichzeitig hohen Säurewerten und komplexer Aromatik erwarten. Weine – die eine enorme Spannung entfalten können und ein grandioses Alterungspotenzial besitzen. Wir sind uns sicher, dass der Jahrgang 2010 – insbesondere für den Riesling aus Heerkretz und Höllberg – ein großer Jahrgang sein wird. Einziger Wehmutstropfen – es wird weniger Basisqualitäten geben.

Daniel Wagner, Weingut Wagner-Stempel

5 Kommentare

  1. Kompliment! Ein spannender und sehr informativer Artikel über den Jahrgang 2010. Hab den Artikel gerade über Facebook zur Lektüre empfohlen… Lieben Gruß, Michael Liebert

  2. Danke – eine wirklich ausführliche Darstellung!
    Biodynamische Winzer wie Sepp Muster in der Südsteiermark oder Jakob Dujin haben auch schon bekundet, dass sie mit den schwierigen Bedingungen wesentlich besser – vor allem auch in punkto Traubenreife – zurechtkamen als konventionelle Nachbarn!

  3. @Angelika: ich glaube, dass es in diesem (und nicht nur diesem) Fall nicht am Konzept der Biodynamie sondern einzig und allein an der Klasse der Winzer liegt. O-Ton Sepp Muster zum Jg 08: “hätten wir 08 wie 04 (ebenfalls nach demeter-Prinzipien) gearbeitet, ürde nichts mehr hängen.”

  4. @ Michael Liebert. Danke! und einen lieben Gruß zurück

    @ Angelika Deutsch und pivu. Ich denke es liegt an beidem. Alle Winzer die ich kenne und die auf Biodynamie umgestellt haben stellen fest, dass die Reben wiederstandsfähiger und gesünder werden und deutlich mehr ab können als noch wenige Jahre zuvor. Das entbindet aber den Winzer ja nicht vor sehr viel Arbeit im Weinberg, genaue Beobachtung und vor allem ein Gefühl dafür, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

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