Der Grand Prix der Großen Gewächse 2022 – das Résumé: Weniger wäre manchmal einfach mehr.

Das waren sie also wieder, die dollen Tage von Wiesbaden. 471 Weine gab es zu verkosten, 288 habe ich in drei Tagen probiert und fast alles davon kurz betextet. Es erklärt sich fast von selbst, dass dies nur Momentaufnahmen sind, die entsprechend eingeordnet werden sollten. Sie ergeben eher insgesamt ein Bild aus vielen Puzzleteilen: Das Bild des Jahrgangs 2022 für die Silvaner und Rieslinge und 2021 für die Burgunder (und Lemberger, die ich mal wieder nicht geschafft habe). Hier also das Résumé. Ich hatte gestern auf der Fahrt von Wiesbaden zurück genügend Zeit, über das Ganze nachzudenken.

@ Franzi Stegemann / VDP

Wer sich der Selbstausbeutung dieser drei Tage hingibt, musste vor allem beim 2022er Jahrgang auch leidensfähig sein. Insgesamt natürlich wegen der ganzen Säuren, die den Mundraum angreifen, aber auch, weil es viele Weine gab, die schlichtweg den Anspruch, den der VDP für sich selber erhebt, nicht einlösen kann. Das Selbstregulativ funktioniert nicht. Ich habe den Eindruck, dass so gut wie jeder alles anstellt, was geht. Und die Vorauswahl durch den Kollegenkreis kann man weitgehend vergessen, weil keiner dem anderen, mit dem man im Zweifelsfall befreundet ist, zu sehr auf die Füße treten will. Es werden also viel zu viele Weine angestellt, die dem Ruf, die Spitze Deutschlands zu repräsentieren, einfach nicht gerecht werden. Weniger wäre manchmal einfach mehr. Das hätte ich mir hier auch gewünscht. Ich formuliere das in meinen Résumés ja auch nicht zum ersten Mal und beileibe nicht als Einziger. Aber ich sitze dann drei Tage da und frage mich, was das soll. VDP-Präsident Stefan Christmann hat sich am Montag kurz zu Wort gemeldet und angekündigt, dass die Auswahl der Großen Lagen sich verändern wird und in der Zukunft auch immer wieder angepasst werden wird. Ich bin gespannt, was das verändern wird.

Es gab also Licht und es gab Schatten. Die Mosel habe ich nur quer durchprobiert. Der Winzer der für mich im letzten Jahr besten Kollektion, Clemens Busch, war mit seinen Weinen nicht vertreten. Ebensowenig Knebel. Was bliebt, waren einige wenige Highlights in einem für die Mosel wettertechnisch extrem herausfordernden Jahr. Aber auch da gilt: Wenn man einen gewissen Qualitätsstandard für sich definiert hat, dann sollte man den mit seinen GGs nicht unterschreiten. Man muss keine GGs abfüllen, wenn sie diesen Standard in einem Jahr mal nicht erreichen. Für das Überleben eines Betriebes sind GGs meist nicht ausschlaggebend. Weniger wäre manchmal einfach mehr.

Die Nahe habe ich komplett verkostet und ich war enttäuscht. Das sind im Wesentlichen vergleichsweise dünne Weine. Und im Gespräch mit einem Winzer, der sich das von außen in dem Jahrgang angeschaut hat, kam genau das heraus, was ich vermutet habe: Die Rebstöcke hingen voll und es wurde alles gelesen und verarbeitet. Genau das schmeckt man. Wer auf Qualität hin arbeitet, der muss ausdünnen – und zwar manchmal auch radikal. Ich kenne Winzer, die haben nur die Hälfte der Erträge eingebracht, obwohl das Doppelte in den Reben hing. An der Nahe wurde das aber allem Anschein nach häufig nicht beherzigt. Dabei kann man natürlich nicht alle über einen Kamm scheren, ist ja klar. Ich will auch niemanden oder eine ganz Appellation verunglimpfen. Es wundert mich allerdings auch nicht wirklich, wenn ich sehe, wie sich Weine aus GG-Lagen in den letzten Jahren weiter vermehrt haben. Weniger wäre manchmal einfach mehr. Ich bin gespannt, wie der Markt diesen Jahrgang aufnehmen wird.

Kollege Felix Bodmann hat ebenfalls umfangreich berichtet. @ Franzi Stegemann / VDP

Erschreckend war für mich auch erneut das Auf und Ab in der Pfalz. Da hat man einen Flight beispielsweise aus Forst. Sagen wir: Pechstein. Sechs Weine, die so unterschiedlich sind, als kämen sie von anderen Kontinenten. Terroir, sense auf place? Schwierig. Von der Qualität gar nicht erst zu sprechen. Die schwanke am Haardt-Rand wie eine Schaluppe auf hoher See. Aber anders als an der Nahe, wo ich echt wenig zu empfehlen hatte, gab es einige wirkliche Highlights und auch eine Menge empfehlenswerter Weine. Das gilt auch für die 2021er Spätburgunder, wo speziell auch aus der Schweigener Ecke sehr gute Weine kamen.

Rheinhessen fand ich, was die Konsistenz in der Qualität angeht, am stärksten (mal wieder). Das sind bis auf wenige Ausnahmen Weine, die dem eigenen Anspruch gerecht werden. Das gilt für weiß wie rot und für alle drei Weinbaubereiche. Doch auch dort ist der 2022er Jahrgang kein wirkliches Highlight, eher ein guter Durchschnitt im Wesentlichen.

Im Rheingau habe ich nur die Rotweine geschafft, was einen bitteren Eindruck hinterlassen hat. Zu den Rieslingen bin ich leider nicht mehr gekommen.

In Baden habe ich Chardonnay und Spätburgunder probiert und fand Chardonnay auf gutem, Spätburgunder insgesamt auf sehr gutem Niveau. Der Jahrgang hat den roten Sorten da klar in die Hände gespielt, während die Chardonnays mit ihrer Säure teils die Zähne spalten und sich insgesamt auch inkonsistenter präsentierten. Beim Pinot mochte ich, dass auch Weingüter, die weniger stark im Rampenlicht stehen, sehr gute Weine abgeliefert haben.

In Württemberg stammten die Rieslinge, die insgesamt ein sehr gutes Niveau hatten, alle aus 2021. Die Burgunder fanden sich qualitativ eher im Mittelfeld.

Der Autor mit Doppelkinn. @ Franzi Stegemann / VDP

Rieslinge und Silvaner in Franken gehören wieder zur “weniger wäre manchmal mehr-Fraktion”. Da gibt es eine kleine Spitze von hervorragenden Weinen, dann kommt bis auf wenige Ausnahmen länger nichts und dann der Rest. Viele Weine waren nicht GG-würdig. Insgesamt war 2021 kein bemerkenswertes Spätburgunderjahr in Franken. Auch die üblicherweise besten Weine, habe ich schon deutlich stärker im Glas gehabt.

Sachsen und Saale-Unstrut waren gar nicht vertreten, vom Mittelrhein gab es drei Weine und von der Hessischen Bergstraße einen.

Bleibt noch die Ahr. Die Weine von der Ahr gehörten für mich zu den schönsten der Verkostung. Das war mir schon zwei Wochen davor aufgefallen, als ich die Weine für den kommenden Weinguide des Feinschmecker auf dem Tisch hatte. Da haben die Winzerinnen, Winzer und Betriebe wie Deutzerhof, Burggarten, Meyer-Näkel und Jean Stodden in 2021 den absoluten Alptraum erlebt mit zerstörten Gebäuden, davon schwimmenden Fässern und Flaschenlagern, Toten im Bekanntenkreis und vielem mehr. Und dann schaffen sie es, solche Weine zu erzeugen! Das hat mich tief berührt, muss ich sagen. Und ich will unterstreichen: Kauft alles was geht, es lohnt sich. Und dieses Urteil ist nicht sentimental gefärbt.

Ansonsten plädiere ich dafür, dass man Weißburgunder als Kategorie für Franken abschafft und stattdessen Silvaner als GG-Kategorie für Rheinhessen mit dazu nimmt. Gebt dieser Sorte die Chance. Sie gehört genauso zu Rheinhessen wie zu Franken, bringt dort sehr gute Ergebnisse und würde sicher viele Winzer dazu motivieren, noch mehr auf die alte Sorte zu setzen.

Schließlich noch mal einen großen Dank an das Team des Orga-Teams des VDP rund um Theresa Olkus. It was a blast!

@ Franzi Stegemann / VDP

Hier aber noch mal ein Blick auf die berührendsten Weine und Kollektionen:

Die für mich schönsten Weine waren in diesem Jahr in der Reihenfolge ihrer Verkostung:

2022 Rudolf May „Retzstadt Himmelspfad“

2021 Meyer-Näkel Dernau Pfarrwingert

2021 Deutzerhof „Altenahr Eck“

2021 Jean Stodden „Rech Herrenberg“

2021 Bernhard Huber „Hecklingen Schlossberg“,

2022 Gunderloch „Nackenheim Rothenberg“

2022 Dr. Bürklin-Wolf „Deidesheim Langenmorgen“

2021 Rainer Schnaitmann „Fellbach Lämmler“

2021 Von Othegraven „Ockfen Bockstein“

(6:3 für 2021)

Die besten Kollektionen in diesem Jahr:

Meyer-Näkel: Aus dem Flutjahrgang 2021 heraus haben Dörte und Meike berührende, großartige Rotweine erzeugt. Das macht demütig.

Wagner-Stempel: Weil Daniel Wagner in seinem 30. Winzerjahr mit drei Rieslingen und einem Spätburgunder unterstrichen hat, dass er zu den besten seines Fachs gehört. Das wurde am Tag vor der Vorpremiere noch mal klarer, als ich die Chance hatte, alle 20 Heerkretz nebeneinander zu probieren. Er zeigt, wie klar man einen roten Faden durch zwanzig teils sehr unterschiedliche Jahrgänge ziehen kann. Selten habe ich über einen solchen Zeitraum den sense of place so klar durchschmecken können. Disclaimer: Ich pflege mit den Wagners eine freundschaftliche Beziehung.

Franz Keller: Weil ich finde, dass Friedrich Keller sich einen neuen, klaren Stil erarbeitet hat, den er sehr konsequent und von Jahr zu Jahr besser herausarbeitet.

2 Kommentare

  1. Danke für die offenen Worte, was die Vielzahl, oder besser überzahl an präsentierten GG’s angeht. Den Eindruck hatte ich auch, als ich vor zwei Jahren an der GG Verkostung teilgenommen habe. Bei vielen Weinen habe ich angemerkt: “Das soll ein GG sein?” Die Kontrolle durch die Kollegen aus derselben Region funktioniert manchmal, aber vielleicht meist doch nicht. Ich stimme zu, “Weniger wäre mehr!”.

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