Nach einer kleinen Best-of-Runde im Januar haben wir uns in der 14. Montagsrunde Ottensen wieder zu einem „ernsthaften“ Thema zusammengefunden. Es lautete ganz schlicht: Gamay. Für die meisten steht Gamay ja fast gleichbedeutend mit Beaujolais, aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Der Gamay ist viel weiter verbreitet, auch wenn er aus dem Burgund immer Mittelalter weitgehend vertrieben worden ist. De facto ist der Gamay eine kontinentale Rebsorte, die vor allem auf jene Gebiete einzugrenzen ist, die von Vulkanböden geprägt sind. Dazu gehören neben dem Beaujolais zum Beispiel die Appellationen, die sich zur so genannten Loire Vulcanique zusammengefunden haben. Also die Côte Roannaise, die Côtes du Forez, die Auvergne und Saint-Pourçain. Auch in anderen Teilen der Loire kommt Gamay noch vor. Und wer hätte gedacht, dass der Gamay bis in die 1920er Jahre die am häufigsten vorkommende Sorte der Champagne war?
Grundidee der Montagsweinrunde ist ja, dass alle einen Wein nach Belieben mitbringen und ich sie als Gastgeber in eine Reihenfolge bringe. Begonnen haben wie mit einem Wein, der tatsächlich aus dem Beaujolais stammt und der so etwas wie „Glou Glou“ par excellence darstellt. Es ist der „Men in Bret“ der Bret Brothers. Wer diese nicht kennt: Es sind drei Brüder aus der Maconnais, die tatsächlich Bret heißen und seit einigen Jahren auch im benachbarten Beaujolais aktiv sind. Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe Gamays von ihnen, der Men in Bret aber ist der, den man sich an einem Sommer-Sonntag mit Freunden beim Grillen leicht gekühlt als Doppelmagnum wünscht. Men in Bret XXIII ist Glou-Glou, wie man ihn sich wünscht.



Etwas ähnliches hatte man vom Coup de Jus Dionysos Isonfire auch erwarten können. Die Trauben des Gamay stammen aus dem Beaujolais, verarbeitet wurden diese aber auf der Domaine des Marnes Blanche, einer von mir sehr verehrten Domaine im Jura. Der Wein wirkte etwas matt und im Finale füllig, was den Trinkfluss deutlich gestoppt hat. Nicht so frisch also, wie der „Men in Bret“.
Ob die Flasche AmalGamay 2022 in Ordnung war, ist uns nicht klar geworden, weil eine Vergleichsflasche gefehlt hat. Aber tendenziell mangelte es dem Wein, der sonst so präzise arbeitenden Athenaïs Beru aus dem Chablis an Ausdruck und Balance. Ich tippe mal auf Korkschleicher, denn einen so ausdruckslosen und tendenziell scharfen Gamay hätte sie sicher nicht in die grafisch so schön und hochwertig gestaltete Flasche gefüllt.
Weiter ging es mit den 2021er Juliénas von Armand Heitz, der in Meursault beheimatet ist und insofern ebenfalls von außen kommt, um Gamay aus dem Beaujolais zu erzeugen. Dazu nutzte er 100 % ganze Trauben in der macération carbonique. Das Ergebnis des „Juliénas“ ließ uns wiederum deutlich unbefriedigt zurück. Auch hier fehlte der Trinkfluss, der Beaujolais wirkte etwas schwerfällig und satt.
Mit dem 2020er Juliénas der La Soeur Cadette stieg ein weiter Beaujolais dieser Appellation in den Ring doch auch hier fehlte ein wenig die Aussagekraft und wir fingen schon an, an uns selbst zu zweifeln. Oder am Gamay … allerdings hatte ich den Juliénas von Valentin Montanet schon in sehr frisch und lebendig getrunken, was man vom 2020er auch nicht wirklich behaupten konnte. Ein unauffälliger Wein unter „ferner liefen“.



Deutlich besser wurde es dann mit Julien Suniers 2020er Fleurie. Hier zeigte sich erstmals die Delikatesse, die ich von einem Gamay Cru erwarte. Die Mischung aus floralen, erdigen, rot- und dunkelbeerigen Aromen, ein wenig Kräutern und rauchigen Noten. Ein expressiver, noch ein wenig reduktiver Wein, der durchaus noch ein paar weitere Jahre im Keller reifen darf. Der Wein stammt von zwei Weinbergen namens Grand Pré und La Tonne von 1,7 Hektar. Der Ertrag lag bei 40 hl/ha, es wurde eine spontane macération carbonique durchgeführt und der Wein neun Monate im Holz ausgebaut.
Der noch bessere Beaujolais – ich habe ja blind eingeschenkt – war der 2019er The Price of Silence von Ochota Barrels. Der Beaujolais entpuppte sich also als ein waschechter Australier aus den Adelaide Hills. Der Wein stammt aus dem Jahr, als ich das Weingut besucht habe. Der Weinberg wurde 1985 mit drei verschiedenen Gamay-Klonen bestockt, zwischenzeitlich dann vom Besitzer auf Chardonnay umveredelt, bis Taras Ochota ihn 2017 davon überzeugen konnte, ihn wieder zurück zu veredeln auf die drei Gamay-Typen. Gamay ist eine absolute Ausnahmeerscheinung in Australien und der Wein ebenso. Ein tonischer, lebendiger, rotfruchtiger und leicht herbaler Wein mit Spannung und Frische. Das kam gut an.
Weniger frisch wiederum zeigt sich der Domaine des Pothiers Diogène 2020 von der Côte Roannaise. Die Top-Cuvée des Weinguts, erzeugt aus der für die Region typischen, meiner Ansicht nach eigentlich sehr guten Variante Gamay Saint-Romain, wurde in Amphoren ausgebaut. Eigentliche gute Voraussetzungen einer guten Domaine, doch der Wein wirkt wiederum ein wenig schwerfällig, zu konzentriert, etwas bitter im Tannin. Hier wurde entweder etwas zu viel gewollt oder man lässt dem Wein noch etwas Zeit im Keller.



Vor gut zwei Jahren habe ich die Appellationen der oberen Loire, der so genannten Loire Vulcanique abgeklappert. Zu diesem Bereich gehört die Côte Roannaise, aber auch die noch weiter Richtung Süden liegenden Côtes du Fôrez, wo die Cave Verdier-Logel beheimatet ist. Jacky Logel, der aus dem Elsass stammt, hat 1992 mit den acht Hektar seines Schwiegervaters die Domaine begründet. Heute wird sie von seiner Tochter Julie und seinem Neffe Maxime Gillier geführt. Als Elsässer hat er es sich damals nicht nehmen lassen, auch Riesling anzubauen. Hier geht es jedoch um den Gamay La Volcanique 2018. Im Gegensatz zur Côte Roannaise, die wie das benachbarte Beaujolais eher vom Granit geprägt ist, findet man bei Logel vor allem Basalt im Boden, wo der Gamay Saint Romain wurzelt. Dieser Gamay wirkt ähnlich dunkel und dicht wie der von der Domaine des Pothiers, besaß aber ungleich mehr Frische und Spannung, ergo Lebendigkeit bei einer gelungenen Tiefe und Länge. Bis dato das Highlight.
Weiter ging es mit einem Beaujolais aus Blacé, was mir bisher unbekannt war. Es liegt schon recht weit im Süden. Der 2020er Beaujolais Blacé der Domaine Mont Joly von Jean-Baptiste Bachevillier bildete einen kurzweiligen Übergang zu folgenden Wein. Bachevilliers Domaine verfügt über 2,5 Hektar. Er ist seinen Eltern nachgefolgt, nachdem er jahrelang für das Haus Boissent gearbeitet und Erfahrungen in Übersee gesammelt hat. Der 1971 gepflanzte Gamay wurzelt in Gneiss, was recht selten ist. Ausgebaut wurde er über 21 Monate hinweg im Cuve. Es ist ein dunkelfruchtiger, recht würziger Wein, dem man allerdings seine 14,5 vol. % anmerkt, die hier etwas heiß wirken.
Dass der Schweizer in unserer Runde auch einen Schweizer Gamay mitbringen würde, war zu hoffen. Die Sorte ist recht weit verbreitet in der Konföderation. Der 2022er Les Romaines stammt aus dem Weingut Les Frères Dutruy von Christian und Julien Dutry, die in Founex im Waadt beheimatet sind. Der Gamay wird als Grande Resèrve bezeichnet und im Holz ausgebaut. Die Basis bildet der Bereich La Côte am Genfersee, der im Schutz des Juragebirges liegt und sich aufteilt in kiesige Böden am Seeufer und schwerere in den Juraausläufern, woher dieser wein stammt. Der Wein ist eine Klasse für sich, nur dass man leider konstatieren muss, dass wir ihn viel zu früh geöffnet haben. Das Holz ist noch nicht vernünftig integriert und der Wein zu Beginn etwas abweisend. Doch nach Minuten öffnet er sich, wird geschmeidiger, ist würzig, angenehm fruchtig, zeigt eine klare Frische und dürfte in den nächsten Jahren sehr spannend werden.



Mit dem [boʒɔˈlɛ], der Entdeckung Nummer 15 der Deutschen Weinentdeckungsgesellschaft von Carsten Sebastian Henn hatten wir einen würdigen Piraten mit dabei. Es handelt sich beim [boʒɔˈlɛ] 2022, sprich: Bojolä, um einen Pinot Noir aus dem Hause Lukas Sermann, also von der Ahr, der bewusst so ausgebaut wurde, wie man es gemeinhin mit Beaujolais macht. Verwendet wurden drei Fässer. Jeweils eines aus dem Dernauer Hardtberg, dem Mayschosser Burgberg und dem Dernauer Goldkaul. Alles wurde spontan in kleinen Gebinden als Macération carbonique vergoren, dann abgepresst und in kleine Holzfässer gefüllt (unterschiedlich bei Alter, Tonnellerie und Größe), wo sie neun Monate lang reiften. Das ist ein Wein mit Substanz und Frische, bei dem zwar schnell aus der Runde die Frage kam, ob es sich hierbei um einen Pinot handeln würde – das ließ sich also gar nicht verleugnen, aber warum auch? Entscheidend war die Erkenntnis, dass auch ein Pinot Noir zu 100 % mit Kohlensäuremaischegärung mazerieren kann und danach ein durchaus komplexer, dabei süffiger und saftiger Wein herauskommen kann. Er hat auf jeden Fall einige Weine des Abends locker an die Wand gespielt.
Nicht aber den 2011er Éponyme von Vincent Giraudon. Vincent hat mir diese Einzelflasche bei meinem Besuch vor zwei Jahren in die Hand gedrückt. Der Großvater des jungen Winzers war einst Sommelier im Hause Troisgros in Roanne und mit ihm hat Vincent als Jugendlicher seine ersten guten Weine getrunken. Vincent ist zunächst Koch geworden und hat bis 2019 im Restaurant seines Vaters gekocht. Doch hat er parallel ab 2004 die ersten Parzellen erworben. Der „Éponyme“ ist ein Gamay aus den Côtes Roannaise ohne Holzeinsatz. Genutzt wurde Beton und Amphore. Der Wein stammt also aus der gleichen Ecke und wurde mit einem ähnlichen Ansatz wie der Domaine des Pothiers „Diogène“ erzeugt, nur dass er neun Jahre älter ist und es natürlich auch noch andere Unterschiede gibt. Der entscheidende war, dass der „Éponyme“ eine wunderbare Spannung und Frische in sich trug. Das war für mich ein exzellenter Gamay und für alle(?) der Wein des Abends, weil er so stimmig war in sich. Ein zeitloser, tonischer, durchaus komplexer, dabei vitaler Wein, der einfach große Freude bereitet hat.
Zum klassischen Abschluss hatten wir einen 2009er Morgon des Château des Jacques, das zu Louis Jadot gehört. Eigentlich ein Wein, der noch locker auf der Höhe sein sollte, zumal er aus einem für Beaujolais sehr guten Jahrgang stammt. Doch dem recht dichten Gamay mangelte es an Frisch und Lebendigkeit, dafür hatte sich eine unangenehme Schärfe eingeschlichen.



Als besonderer Abschluss stand schließlich der Verba Pampinea mit der Codierung GA19dj167 von Florence Bouleaux und Pierre Andrey auf dem Tisch. Flasche 5 von 67. Danke Peter Grahle! Die Kodierung lässt sich auflösen in Gamay (GA), 19 (2019), dame jeanne (dj – der Name für den Glasballon) und 167 für die Parzelle, woher der Wein stammt. Das Weingut der beiden liegt in Lothringen, der Gamay stammt aber eher aus dem Beaujolais von befreundeten Winzern, die biodynamisch arbeiten. Der Gamay hatte nicht weniger als 15 vol. % Alkohol und trotzdem noch spürbare Restsüße, ist auf der Flasche ein Stück weit nachgegoren und hat möglicherweise auch Botrytis gehabt. Ein kleines Phänomen, ein singulärer Wein von einer ganz eigenen Schönheit und Tiefe.